1001 Medikament
Begegnung mit einer Schauergeschichte
Piktogramm Produkte
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«1001 Medikament ist kein Märchen, sondern eher eine Schauergeschichte. Denn bei so vielen Medikamenten gibt es in der Schweiz derzeit einen Engpass» berichtet die NZZ am 9. Februar 2023. Inzwischen ist die Zahl der fehlenden Medikamente weiter angestiegen. Die Gesellschaften der Galenica Gruppe befinden sich inmitten dieser Turbulenzen. Wie wirkt sich die Mangellage auf das Galenica Netzwerk aus? Was können wir in der Logistik, im Vertrieb, in Apotheken und Laboren tun? Wir haben uns bei Mitarbeitenden umgehört und spürten nebst einem bedrückenden Gefühl auch viel Motivation und Zuversicht. Hier sind ihre Geschichten.

«Man kann die Produktion nicht so einfach zurück nach Europa holen»

Wo liegen die Ursachen des Medikamentenmangels? Was und wen bräuchte es, damit die Krise ein Ende hat? Branchenkenner Christoph Metzler vom führenden Pharmagrossisten der Schweiz, Galexis, hat Antworten. So viel vorweg: Es ist komplex! Die Auswirkungen auf das Tagesgeschäft von Galexis erläutert Joachim Schuppe, Leiter Operations.

70 %

Automatisierungsgrad

>60'000

Produkte an Lager

>424'000

Packungen versendet pro Tag

Was ist die Safety Stock Initiative?

«Im Rahmen der Safety Stock Initiative legen wir einen Sicherheitsbestand für einen grossen Teil des Sandoz Sortimentes an», erklärt Patrick Weisskopf, Leiter Key Account Generika bei der Galexis AG. «Generika decken mehr als die Hälfte der in der Schweiz abgegebenen Arzneimittel ab. Hier kann eine grosse Hebelwirkung erzielt werden. Wir konzentrieren uns auf chronische Krankheiten, denn dort, wo laufende Therapien unterbrochen oder umgestellt werden müssen, fallen für das Gesundheitswesen besonders hohe Kosten an», ergänzt Patrick Weisskopf. «Die mehr als doppelt so hohen Lagerbestände führen dazu, dass kurz- und mittelfristige Lieferengpässe präventiv verhindert werden können.»

Vesna Subara, Spezialistin, Galexis

«Bei meinem Automaten fehlen über 500 Artikel. Das ist schlecht, weil der Automatisierungsgrad sinkt.»

Vesna Subara, Spezialistin, Galexis

Roy Siegenthaler, CEO, Alloga AG
Roy Siegenthaler, CEO, Alloga AG

Pflichtlager könnten rasch aufgestockt werden

Auch die Pre-Wholesales Spezialistin Alloga, die Arzneimittel im Auftrag von Herstellern und des Staates lagert, spürt die Folgen des Medikamentenmangels, aber etwas anders. Drei Fragen an Geschäftsleiter Roy Siegenthaler.

Roy, wie spürt Alloga den Medikamentenmangel ganz generell?

Den Impact auf unsere Lagerbestände merken wir nur indirekt. Die Bestände sind seit Jahren auf einem hohen Niveau. Als Pre-Wholesaler handeln wir im Mandat der Pharmaindustrie, d.h. wir lagern und vertreiben Medikamente im Auftrag unserer Pharmapartner, ohne dabei Besitzer der Ware zu sein. Wir werden von den Partnern nicht informiert, ob gewisse Medikamente infolge eines Mangels substituiert werden.

Im Kundendienst stellen wir bei gewissen Medikamenten, die zeitweise nicht lieferbar sind, vermehrte Nachfragen von Kunden (z.B. Apotheken, Arztzentren, Spitäler) fest. Die Kunden möchten in einem solchen Fall wissen, wann das Medikament wieder lieferbar ist oder ob dafür ein Ersatzmedikament angeboten wird. In diesen Fällen verweisen wir sie an den Pharmapartner, welcher das Medikament vertreibt.

Ebenfalls stellen wir fest, dass auch bei unseren Zusatzservices wie beispielsweise Medikamentenschachteln umetikettieren oder Beipackzettel austauschen noch schnellere Reaktionszeiten gefordert sind. Denn die zu bearbeitenden Medikamente müssen schnellstmöglich wieder für den Markt verfügbar sein.

Kann Alloga selbst etwas tun, um den Medikamentenmangel in der Schweiz zu lindern, sowohl kurz- als auch langfristig?

Dadurch, dass wir weder Medikamente produzieren noch Besitzer von solchen sind, sind uns die Hände leider teilweise gebunden. Wir nehmen Einfluss, wo wir können und fokussieren uns insbesondere auf die rasche Verarbeitung und Einlagerung von Wareneingängen. Dafür haben wir einen Express-Wareneingang ins Leben gerufen, der dabei hilft, besonders eilige Wareneingänge noch besser zu priorisieren und schneller zu verarbeiten.

Eine reibungslos funktionierende Zusammenarbeit mit den Pharmapartnern ist sehr wichtig, denn sie müssen die Ware vor dem Vertrieb prüfen und freigeben. Um diesen Prozess weiter zu beschleunigen, haben wir mehrere Tools eingeführt, unter anderem eine elektronische Signatur und digitale Dossiers, welche die Aufnahme von professionellen 360° Bildaufnahmen von Medikamentenmustern mittels unserer neu eingeführten ALL-in-one-Fotobox beinhalten. Damit entfällt der länger dauernde Musterversand über den Postweg und die Muster können innert Minuten durch die Pharmapartner freigegeben werden.

Die Kantone wollen Pflichtlager aufstocken. Wie lange dauert es, bis dieses Vorhaben umgesetzt wäre?

Als systemrelevantes Unternehmen beherbergen wir seit vielen Jahren ein Pflichtlager. Das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) regelt schweizweit die Sicherstellung der Landesversorgung mit lebenswichtigen Gütern wie Medikamenten und Dienstleistungen bei schweren Mangellagen. Bei einer Aufstockung dieser Pflichtlager könnten wir weitere Lagerplätze vermieten. Sollte ein solcher Auftrag von Helvecura, welche als Genossenschaft die Aufgaben zur korrekten Pflichtlagerhaltung von Heilmitteln im Sinne der wirtschaftlichen Landesversorgung umsetzt und prüft, bei uns eintreffen, wären wir innerhalb kurzer Zeit in der Lage, das Pflichtlager zu erweitern und die neuen Artikel im Artikelstamm zu ergänzen.

«Man fühlt sich manchmal ohnmächtig»

Der Medikamentenmangel ist ein globales Problem mit lokal teils gravierenden Auswirkungen. So konnte die Markeninhaberin Verfora die grosse Nachfrage nach dem beliebten Algifor Kindersirup nicht immer decken. Und doch: Trotz Lieferschwierigkeiten wurde 2022 ein Rekordabsatz erreicht! Was sich in der Beschaffung und im Marketing tagtäglich abspielt, erzählen uns Supply Chain Manager Malcolm Andrews und Brand Managerin Lena Blohm sehr eindrücklich.

163

Mitarbeitende Ende 2022

+17.4 %

Wachstum Bruttoumsatz 2022

821'000

ausgelieferte Algifor Suspensionen (Sirupe) 2022

Wie sieht es bei dir aus? Wie bist du selbst vom Medikamentenmangel betroffen?

Die Rettungsanker

Wenn selbst Spitäler wichtige Medikamente nicht mehr vorrätig haben, ist das Laboratorium Bichsel in Interlaken-Unterseen oft der letzte Rettungsanker. Dasselbe gilt für das Laboratorium Golaz, das Apotheken mit selbst hergestellten Substituten versorgt. Eine aufwändige und teure Lösung. Und auch diese Laboratorien hängen schlussendlich am Tropf der Wirkstoffhersteller.

Ø 70

freigegebene Magistralrezepturen pro Tag (Golaz)

>12'000

Home-Care-Patienten (Bichsel)

>35 Mio.

verblisterte Medikamente pro Jahr (Medifilm)

Nadine Zurlinde, Sachbearbeiterin Einkauf Pharma, Medifilm AG
Nadine Zurlinde, Sachbearbeiterin Einkauf Pharma, Medifilm AG
Christine Bühlmann, Stv. Fachtechnisch verant. Person, Medifilm AG
Christine Bühlmann, Stv. Fachtechnisch verant. Person, Medifilm AG

Eine riesige Herausforderung

Die Medifilm AG mit Sitz in Oensingen (SO) ist der führende Medikamenten-Verblisterer der Schweiz. Sie stellt mit den so genannten Medifilmen individuelle Medikamentenlösungen für Apotheken und Heime/Institutionen zur Verfügung, mit denen diese ihre Patienten versorgen. So kann der Medikationsplan optimal eingehalten und die Patientensicherheit erhöht werden.

Wie Medifilm vom Medikamentenmangel betroffen ist und wie das Unternehmen diesem begegnet, erläutern Nadine Zurlinden und Christine Bühlmann.

«Ich habe Überzeit ohne Ende», sagt Nadine Zurlinden, Verantwortliche Einkauf Pharma bei Mediflm mit einem leicht gequälten Lächeln. Immerhin beschaffen wir jetzt eine Software, mit welcher der tägliche Bestellprozess viel einfacher sein wird. Das wird uns entlasten», sagt sie sichtlich erleichtert. Doch lindert die Bestellsoftware nicht das eigentliche Übel, nämlich den permanenten Mangel an Medikamenten und die damit verbundenen Aufwände. «Der Mangel hat in den letzten Jahren spürbar zugenommen. Die sogenannten Stock-out Listen haben sich in den letzten zwei Jahren verdreifacht», sagt Nadine. Sie muss es wissen, arbeitet sie doch schon seit 13 Jahren bei Medifilm.

Nadine erklärt. «Die benötigten Medikamente ständig verfügbar zu haben, ist gegenwärtig eine riesige Herausforderung. Wir müssen gut vorausschauen und mögliche Lieferunterbrüche antizipieren, um entsprechende Medikamente an Lager nehmen zu können. Doch oft fragen wir uns: Wie lösen wir dieses Problem?»
Und sie ergänzt: «Eigentlich sollte unser Lager sehr klein sein, wir würden gerne tagesaktuell beim Grossisten einkaufen, aber das ist seit längerem nicht mehr möglich. Oft sind seitens Grossisten nur noch geringe Mengen verfügbar, d.h. Mengen, die wir als Verblisterer in nicht einmal einem Tag verbrauchen. Das reicht natürlich nirgends hin. Beispielsweise mussten wir kürzlich Methadon für Neukunden sperren, damit wir die bestehenden Patienten versorgen können, weil die Engpässe so dramatisch wurden. Deshalb haben wir unsere Lagerkapazität nun aufgestockt.»

Trotz Mehraufwand an vielen Stellen…

Dass nicht nur die ständige Suche nach Alternativen von nicht lieferbaren Medikamenten und das Aufrechthalten des Lagerbestands sehr herausfordernd sind, weiss Christine Bühlmann, stellvertretende Fachverantwortliche Person (FVP) von Medifilm. Mehraufwand entsteht auch in der Fachtechnik und beim Kundensupport. Bevor ein alternatives Medikament ins Sortiment aufgenommen wird, muss für dieses eine Risikoanalyse gemacht werden, danach folgt eine Kundeninformation an die Apotheken, welche Patienten mit entsprechenden Therapien betreuen.

In den vergangenen Wochen hat Medifilm die Anzahl der Kombinationspräparate reduziert und setzt mehr auf Einzelpräparate. Dies aus dem einfachen Grund, weil es bei Einzelpräparaten weniger Lieferunterbrüche gibt und der Warenumschlag grösser ist. So kann die Lagermenge erhöht werden und Medifilm kann seine Kunden, bei einem Lieferunterbruch, länger beliefern. «Dies stösst nicht immer auf Verständnis, weil den Kunden der Hintergrund zu wenig bewusst ist. Entsprechend haben die Fachtechnik und der Kundensupport mehr Anfragen und Reklamationen zu bewältigen. Wir versuchen ihnen den Hintergrund so gut wie möglich zu erklären, meist verstehen die Kunden den Wechsel dann besser», sagt Christine.

… überwiegt das Positive

Von all den Herausforderungen lassen sich die Mitarbeitenden von Medifilm nicht die Zuversicht und den Optimismus nehmen. Denn sie sind sich ihrer Verantwortung, aber auch ihrer bedeutenden Wertschöpfung für die Patientensicherheit und Verfügbarkeit von Medikamenten bewusst. Nadine drückt es so aus: «Manchmal sind wir schweizweit die einzigen, die noch liefern und die Phase, bis ein Medikament wieder normal lieferbar ist, überbrücken können. Das macht mich stolz.»

«Man findet eine Lösung»

Am deutlichsten spürbar ist der Medikamentenmangel in den Apotheken, wo das Personal direkt mit den Kundinnen und Kunden in Berührung kommt. Apotheker Elhadji Assane Diop schildert anschaulich, wie er Kunden berät und fast immer eine Lösung findet. Was dabei hilft, sind Respekt und Vertrauen. Besonders gut weiss das Arthur Hery, Leiter des Projekts Big Smile.

74.8 %

Generika Substitutionsrate

>360

eigene Apotheken

>4'800

Mitarbeitende in Apotheken

Unserer Vision Rechnung tragen

Der Medikamentenmangel, potenziert durch den Fachkräftemangel, ist eine im aktuellen Ausmass nie dagewesene Herausforderung für das Gesundheitswesen. Diese dürfte kaum in den nächsten paar Jahren nachhaltig bewältigt werden können. Doch es gibt im Kleinen – für Patienten, Apotheken und Spitäler – immer wieder Lösungen, dank des enormen Einsatzes der Menschen, die sich tagtäglich dafür engagieren.

>7'600

Mitarbeitende

89

Nationalitäten

1

Team

Vertrauen

Wir begleiten Menschen in allen Lebenslagen auf ihrem Weg zu Gesundheit und Wohlbefinden. Mit persönlicher und kompetenter Beratung und einem einzigartigen Angebot an Produkten und Dienstleistungen. Jederzeit und überall in der Schweiz.

Galenicas Kundenversprechen

Die Interviews für diese Ausgabe wurden im April und Mai 2023 geführt